Geschlagen und vertrieben

„Ich wurde jeden Tag in der Schule von meinen Mitschülern geschlagen. Niemand konnte mir helfen!“

Meine Geschichte als Roma – in Serbien und in Deutschland.
Ein Gespräch mit Stefan (Name geändert) von der Beruflichen Schule BS13 in Hamburg.

Hamburg-was geht: Hallo Stefan, ich habe dich ja vor einigen Wochen kennen gelernt, du bist ja für mich ein „ganz normaler junger Mann“, aber ich habe gehört, dass du gar nicht in Deutschland geboren wurdest. Warum bist du hierher gekommen?
Stefan: Ich bin nach Deutschland gekommen, weil ich in Serbien gelebt habe. Ich bin aber kein Serbe, ich bin Roma.

Hamburg- was geht: Hast du keinen serbischen Pass?
Stefan: Ich habe einen serbischen Pass, aber wenn ich in Serbien bin, sagen die, dass ich kein Serbe bin, sondern ein „Zigeuner“.

Hamburg- was geht: Woran erkennen die das? Steht das im Pass?Stefan: Nein. Die müssen gar nicht in meinen Pass schauen, die sehen meine Hautfarbe. Das reicht.

Hamburg- was geht: Kannst du dich noch daran erinnern, als du zum ersten Mal gemerkt hast, dass andere denken, dass du „anders“ bist in Serbien?
Stefan: Das erste Mal habe ich das im Kindergarten gemerkt, da war ich 6 Jahre alt. Ein Junge hat gesagt, du bist „Zigeuner“, warum sitzt du neben mir. Dann habe ich das meiner Lehrerin erzählt, die hat gesagt, das sind Kinder, die wissen das nicht. Setz dich doch alleine. Dann habe ich ein Jahr lang allein gesessen.

Hamburg- was geht: Kannst du dich noch daran erinnern, wie du dich dabei gefühlt hast?
Stefan: Ja, die Gefühle waren richtig schlimm. Ich habe mir immer gesagt, ich bin immer der Schwächste, ich muss alles allein machen, niemand will mit mir spielen.

Hamburg- was geht: Niemand von den Kindern hat mir dir gespielt?Stefan: Nein, niemand.

Hamburg- was geht: Meinst du, die Eltern der Kinder haben denen gesagt, dass sie nicht mit dir spielen dürfen, oder war das eine Regel, dass man das einfach nicht macht?
Stefan: Nein, das war keine Regel, sondern die Eltern haben das den Kindern gesagt. Die haben den anderen Kindern gesagt, „Zigeuner“ sind schlechte Menschen, die machen immer Probleme. Aber das ist natürlich nicht so.

Hamburg- was geht: Hattest du andere Freunde außerhalb des Kindergartens?
Stefan: Doch, aber das waren auch Roma-Leute.

Hamburg- was geht: Hast du dich dann mit denen nach dem Kindergarten getroffen?
Stefan: Wir haben dann auf der Straße Fußball gespielt und solche Sachen.

Hamburg- was geht: Wie viele Geschwister hast du?
Stefan: Ich habe drei Geschwister, wir sind insgesamt vier.

Hamburg- was geht: Wie ging es deinen Eltern zu dieser Zeit?
Stefan: Meine Eltern konnten gar nichts machen, die haben gesagt, deine Hautfarbe ist so. Die anderen gucken immer zur Seite. Sie haben mir ein Beispiel gesagt: Wenn ein Blatt Papier weiß ist und ein Punkt ist schwarz, dann ist der schwarze Punkt immer schlecht.

Hamburg- was geht: Weißt du, ob das in Serbien schon immer so war?
Stefan: Meine Eltern sagen, das war früher sogar noch schlimmer.

Hamburg- was geht: Kannst du noch ein Beispiel nennen für Situationen, die richtig schwierig waren für dich als Kind?
Stefan: Also das war als Kind, aber es ist noch immer so. Wenn ich auf der Straße spazieren gehe, dann gibt es verschiedene Gruppen von Leuten, die haben immer was gegen uns. Die wollen Stress machen, die schlagen und beleidigen uns. Wenn man dann zur Polizei geht, dann sagen die, „geht ruhig erstmal nach Hause, wir regeln das“.

Hamburg- was geht: Und macht die Polizei dann was?
Stefan: Nein, die machen gar nichts. Die sagen das nur so.

Hamburg- was geht? Also ihr wart in Serbien dann schutzlos?
Stefan: Ja- wir wurden nicht beschützt.

Hamburg- was geht: Gab es auch richtig schlimme Sachen?
Stefan: Ja, zum Beispiel, wenn man unter einer Brücke wohnen muss, dann kommen Leute und zünden Sachen an, zerstören das Haus aus Karton, dass du dir und deiner Familie gebaut hast. Die wollen einen einfach umbringen.

Hamburg- was geht: Hast du denn schon einmal davon gehört, dass ein anderer Rom verletzt oder sogar getötet wurde?
Stefan: Ja, das ist schon oft passiert. Viele Menschen wurden von Serben schon getötet.

Hamburg- was geht: Wurden die denn dann nicht bestraft, gab es keine Gerichtsverfahren?
Stefan: Nein, noch nie.

Hamburg- was geht? Gibt es denn Organisationen, die den Roma helfen?
Stefan: Nein, in Serbien gibt es solche Organisationen nicht.

Hamburg- was geht: Kannst du noch ein paar Beispiele nennen, ein paar Sachen, an die du dich erinnerst?
Stefan: Es gibt viele Sachen, die ich nicht vergessen kann. Zum Beispiel, ich wollte einmal mit meinem Bruder Fußball spielen auf einem Spielplatz. Da kam eine Gruppe von serbischen Leuten und sagte, wir sollten verschwinden, sie wollten jetzt spielen. Wir dürften da nicht spielen, weil wir „Zigeuner“ seien. Wir haben gefragt, warum wir das nicht dürften. Da haben sie uns geschlagen. Die haben den Ball weggenommen. Meine Eltern konnten mir da auch nicht helfen.

Hamburg- was geht: Wie habt ihr damals eigentlich gewohnt?
Stefan: Wir hatten eine ganz kleine Hütte, nur zwei Zimmer. Ohne Wasser und Strom.

Hamburg- was geht: Haben deine Eltern gearbeitet?
Stefan: Nein, das haben sie nicht. Es gibt keine Arbeit für Roma, es gibt nur Sozialhilfe, das sind 20 Euro monatlich. Damit muss man auskommen. Manchmal bekommt man auch kein Geld, dann sagen sie, man soll nächste Woche wieder kommen. Als ich älter geworden bin, hat sich eigentlich nichts geändert an dieser Situation. Es ist heute noch so.

Hamburg- was geht: Wie wäre das gewesen, wenn du eine serbische Freundin dann später gehabt hättest?
Stefan: Wenn du ein serbisches Mädchen findest, dann werden die Eltern sagen, lass das, das ist ein „Zigeuner“. Kontakt mit serbischen Leuten zu haben ist unmöglich.

Hamburg- was geht: Gibt es denn eine Partei, die euch hilft, die vielleicht im Parlament eure Interessen vertritt?
Stefan: Vielleicht gibt es das heute, aber ich habe niemals davon gehört. Viele Roma haben Serbien verlassen, denn viele haben kein Geld und keine Krankenversicherung. Im Krankenhaus wird man dann nicht behandelt. Die Leute sterben und keiner weiß davon, denn viele haben ja keine Dokumente. Ärzte, die Menschen ohne Papiere behandeln, gibt es nicht.

Hamburg- was geht: Dann gibt es wahrscheinlich auch keine Diskussionen in Zeitungen oder im Fernsehen über die Situation der Roma in Serbien?
Stefan: Nein, die gibt es nicht.

Hamburg- was geht: Das klingt schrecklich. Wie kann man unter diesen Umständen aufwachsen und ein Selbstbewusstsein entwickeln? Denn du wirkst ja jetzt auf mich selbstbewusst.
Stefan: Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich mir gedacht, jetzt habe ich meine Freiheit. Ich kann ohne Angst leben, dass jemand zu mir sagt, was machst du hier. Ich kann andere Menschen ganz normal kennen lernen, ohne Angst, dass mich jemand angreift und als „Zigeuner“ ansieht.

Hamburg- was geht: Und stimmt das, hat sich dein Bild von Deutschland bestätigt?
Stefan: Ja, hier sieht keiner etwas Besonderes in mir. Hier ist jeder gleich, egal, was für eine Hautfarbe man hat. In Serbien ist es anders, da wollen sie, dass nur Serben dort leben. Es soll keine „Mischung“ geben.

Hamburg- was geht: Wann haben deine Eltern sich entschlossen, nach Deutschland zu gehen- war etwas besonders Schlimmes passiert?
Stefan: Naja, wir wurden jeden Tag in der Schule geschlagen, jeden Tag haben meine Eltern meine blauen Augen gesehen. Es ging einfach nicht mehr. Dann haben wir eine Entscheidung getroffen und sind nach Deutschland gegangen. Es gab wirklich in all dieser Zeit nur eine einzige Lehrerin, die es nicht gut fand, wie wir behandelt wurden. Aber sie konnte nichts machen. Sie hatte zwar zu den anderen Kindern gesagt, sie sollten uns nicht diskriminieren, aber sie haben es trotzdem gemacht.

Hamburg- was geht: Seit ihr gleich nach Hamburg gekommen?
Stefan: Wir haben uns in Neumünster gemeldet und die haben uns dann nach Hamburg geschickt. Dann haben wir einen Asylantrag gestellt.

Hamburg- was geht: Nach den Sachen, die du aus Serbien berichtet hast, denke ich an die meisten deutschen Politiker, die ja sagen, dass es in Serbien keine Probleme für Roma gibt.
Stefan: Ja, die sagen, das ist ein sicheres Land, ihr habt da alles, ihr könnt da wohnen. Aber das ist nicht so. Ich habe Beweise. Man kann von der Sozialhilfe einfach nicht leben. Wir hatten keine Krankenversicherung. Aber die sagen dennoch, dass es ein sicheres Land ist. Die wissen es besser, aber die müssen das wohl so sagen.

Hamburg- was geht: Dann habt ihr in Hamburg aber eine tolle Aktion gemacht, oder?
Stefan: Ja, wir haben eine besondere Aktion gemacht. Wir haben die Michel-Kirche in Hamburg besetzt, damit wir in Deutschland bleiben können. Jetzt haben wir Kirchenasyl bekommen, damit zum Beispiel ich zur Schule gehen kann. Es ist aber noch nicht alles sicher, wir haben einen Schutz von der Kirche, damit die uns nicht nach Serbien schicken. Aber es ist immer ein Risiko da. Wir müssen aufpassen. Ich komme aber damit ganz gut klar, ich gehe zur Schule, ich mache mein Praktikum. Ich habe keine Angst. Ich habe jetzt ein ganz normales Leben- ich habe in Serbien schon so schlimme Sachen erlebt.

Hamburg- was geht: Wie geht es denn deinen Eltern im Moment?
Stefan: Denen geht es gut, die müssen sich jetzt keine Sorgen mehr um uns machen, wie früher. Jetzt wissen sie, dass ich aus der Schule zurückkomme, ohne Verletzungen.

Hamburg- was geht: Wenn dich heute in der Schule jemand fragt, woher du kommst (sofern jemand denkt, dass du nicht aus Hamburg kommst), was sagst du dann?
Stefan: Ich sage immer, ich komme aus Serbien, aber ich bin kein Serbe. Ich bin Rom. Ich will auch kein Serbe sein nach dem, was ich erlebt habe. Ich habe auch keinen Kontakt mehr mit Freunden in Serbien. Richtige Kontakte hatte ich sowieso nicht, nur zu Roma, aber die sind jetzt auch alle weggegangen. Die versuchen alle, eine gute Zukunft in einem anderen Land in Europa zu haben.

Hamburg- was geht: Vielen Dank für das Gespräch.

Worterklärung:
„Rom“ = Einzahl, männlich
„Roma“ = Plural, männlich; auch „Rom“
„Romni“ = Einzahl, weiblich
„Romnija“ = Plural, weiblich

„Roma“ ist der Oberbegriff für mehrere Bevölkerungsgruppen. Sie haben gemeinsam, dass sie Romanes sprechen. Sie sind in ihren jeweiligen Heimatländern Minderheiten. Sie bilden insgesamt keine geschlossene Gemeinschaft, sondern haben alle ihre eigene Kultur und Geschichte. (aus Wikipedia)

Weiterführende Links:

Ohne Rücksicht auf Verluste – „Sichere“ Herkunftsstaaten | Pro Asyl 07.12.2017

Eine Reportage aus Serbien – „Die Ärmsten der Armen sind Roma“ | bpb 24.02.2014

Roma in Serbien – Von wegen „sicherer Herkunftsstaat“ | Pro Asyl 10.12.2013
Anmerkung: Im Text steht, dass „geplant“ sei, Serbien als sicheren Herkunftsstaat zu benennen. Das ist inzwischen passiert.

Situation der Roma in Serbien | Fotoreportage | Niedersächsischer Flüchtlingsrat 2010

 

Header-Bild: hit1912 | Fotolia.com

Beitragsbild: Forced Eviction of the Roma Belvil settlement, Serbia, 26 April 2012. The eviction blatantly violated international human rights law, asthe city authorities failed to adequately consult with the Roma community in advance, denying them adequate information, notice and legal remedies. © Amnesty International